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Urteil Versicherungsgericht (SG - UV 2020/13)

Zusammenfassung des Urteils UV 2020/13: Versicherungsgericht

Die Visana Versicherungen AG beantragte beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern den Einsatz von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung eines Versicherten, da Zweifel an dessen Einschränkungen bestanden. Das Gericht erklärte sich jedoch für örtlich unzuständig und verwies den Fall an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen. Die Notwendigkeit des Einsatzes von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung wurde geprüft und letztendlich abgelehnt, da keine ausreichende Begründung vorlag und keine Notwendigkeit für diesen Eingriff ersichtlich war. Das Verfahren endete ohne Erhebung von Gerichtskosten, da keine Streitigkeit betreffend IV-Leistungen vorlag. Der Antrag der Visana Versicherungen AG wurde somit abgewiesen, und es wurden keine Gerichtskosten erhoben.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts UV 2020/13

Kanton:SG
Fallnummer:UV 2020/13
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:UV - Unfallversicherung
Versicherungsgericht Entscheid UV 2020/13 vom 21.02.2020 (SG)
Datum:21.02.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 43b ATSG. Der Einsatz von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung ist nur zulässig, wenn ein Lokalisationsnotstand vorliegt, ohne deren Behebung eine Überwachung der versicherten Person unmöglich ist bzw. unverhältnismässig erschwert wird (Entscheid vom 21. Februar 2020, UV 2020/13).
Schlagwörter: Gesuch; Observation; Instrumente; Gesuchs; Standortbestimmung; Versicherung; Gesuchsgegner; Einsatz; Instrumenten; Einsatzes; Person; Antrag; Wohnort; Entscheid; Genehmigung; Versicherungsgericht; Verfahren; Kanton; Kantons; Gericht; Notwendigkeit; Visana; Versicherungen; Abteilung; Gallen; Erwägungen; Versicherungsträger
Rechtsnorm: Art. 43a ATSG ;Art. 43b ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts UV 2020/13

Entscheid vom 21. Februar 2020

Besetzung

Einzelrichterin Miriam Lendfers; Gerichtsschreiber Philipp Geertsen Geschäftsnr.

UV 2020/13

Parteien

Visana Versicherungen AG, Weltpoststrasse 19, 3000 Bern 15,

Gesuchstellerin,

gegen

  1. ,

    Gesuchsgegner,

    Gegenstand

    Antrag zum Einsatz von technischen Instrumenten zur Standort-bestimmung (Art. 43b ATSG)

    Sachverhalt

    A.

    1. […]. Da die leistungspflichtige Visana Versicherungen AG, Bern, Zweifel an den

      vom Versicherten geltend gemachten Einschränkungen hatte, beauftragte sie am

      17. Februar 2020 die B. AG, mit einer Observation des Versicherten. Als Beginn der Überwachung wurde der 27. Februar 2020 vereinbart (act. G 1.1).

    2. Am 17. Februar 2020 stellte die Visana Versicherungen AG bei der Sozialrecht­ lichen Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern einen Antrag um Genehmigung des Einsatzes von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung nach Art. 43b ATSG (act. G 1).

B.

Mit «Zwischenentscheid» vom 19. Februar 2020 (Datum Posteingang beim Versicherungsgericht: 20. Februar 2020), 200 20 142 UV, stellte die Sozialrechtliche Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern fest, dass es zur Behandlung des vorliegenden Gesuchs örtlich unzuständig sei. Es überwies das Gesuch an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und schrieb das Verfahren als erledigt vom Protokoll ab (act. G 2).

Erwägungen

1.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet der Antrag der Gesuchstellerin um richterliche Genehmigung des Einsatzes von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung nach Art. 43b des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1). Da der Gesuchsgegner Wohnsitz im Kanton St. Gallen hat, ist das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zur Beurteilung des Gesuchs örtlich zuständig.

    1. Beabsichtigt der Versicherungsträger, eine Observation mit technischen Instrumenten zur Standortbestimmung anzuordnen, so unterbreitet er gemäss Art. 43b Abs. 1 ATSG dem zuständigen Gericht einen Antrag mit: a. der Angabe des

      spezifischen Ziels der Observation; b. den Angaben zu den von der Observation betroffenen Personen; c. den vorgesehenen Observationsmodalitäten; d. der Begründung der Notwendigkeit des Einsatzes technischer Instrumente zur Standortbestimmung und der Erläuterung, warum bisherige Abklärungen ohne diese Instrumente erfolglos waren, aussichtslos wären unverhältnismässig erschwert würden; e. der Angabe von Beginn und Ende der Observation sowie der Frist, innerhalb der sie durchzuführen ist sowie f. den für die Genehmigung wesentlichen Akten.

    2. Die Präsidentin der Präsident der zuständigen Abteilung des zuständigen Gerichts entscheidet als Einzelrichterin beziehungsweise als Einzelrichter innerhalb von 5 Arbeitstagen nach Erhalt mit kurzer Begründung über den Antrag des Versicherungs­ trägers; sie er kann die Aufgabe an eine andere Richterin einen anderen Richter übertragen (Art. 43b Abs. 2 ATSG). Gemäss Art. 43b Abs. 3 ATSG kann sie er die Genehmigung befristet mit Auflagen erteilen eine Ergänzung der Akten weitere Informationen verlangen.

2.

Zunächst ist die Frage der Notwendigkeit des Einsatzes technischer Instrumente zur Standortbestimmung zu prüfen.

    1. Gemäss Art. 43b Abs. 1 lit. d ATSG muss der Antrag die Notwendigkeit des Ein­ satzes von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung begründen. Es besteht eine qualifizierte Begründungspflicht, weil der Antrag eine Erläuterung enthalten muss, warum bisherige Abklärungen ohne diese Instrumente erfolglos waren, aussichtslos wären unverhältnismässig erschwert würden. Auf diese Weise verdeutlicht der Gesetzgeber, dass der Einsatz technischer Instrumente zur Standortbestimmung subsidiär zur gewöhnlichen Observation mittels Bild- und Tonaufzeichnungen sein soll, die ihrerseits subsidiär zu weniger invasiven Abklärungsmassnahmen ist (BSK ATSG- Thomas Gächter/Michael Meier, N 12 zu Art. 43b). In der parlamentarischen Diskussion wurde denn auch festgehalten, dass die «technischen Standortbestimmungen einen speziell intensiven Eingriff in die Persönlichkeit der betroffenen Personen darstellen». Die Situation sei ja die, dass die technischen Standortbestimmungen nur gemacht würden, damit man nachher eine Bild- und Tonaufzeichnung machen könne. Sie sind

      «in wenigen Fällen ein notwendiges Mittel, um eine Person überhaupt zu lokalisieren». Als für die Auslegung massgebliches Beispiel für den Einsatz dieses «harten» Mittels wurden in der parlamentarischen Diskussion Personen genannt, «die zwar einen mehrere Wohnorte angeben, aber an diesen Wohnorten nie anzutreffen sind» (siehe zum Ganzen das Votum Bischof, AB 2017 S 1010). Der Einsatz technischer Instrumente zur Standortbestimmung ist demnach – in Berücksichtigung der Schwere

      des Eingriffs in die Privatsphäre – Ausnahmefällen vorbehalten, in denen die versicherte Person nicht lokalisiert werden kann (vgl. auch das Votum Hess, AB 2018 N 370: «Es geht darum, jemanden ausfindig machen zu können, um dann eben Aufnahmen zu machen»; BSK ATSG-Gächter/Meier, N 12 am Schluss zu Art. 43b; siehe zum Ganzen auch den Entscheid des Versicherungsgerichts vom 20. Februar 2020, IV 2020/40,

      E. 2.1).

    2. Aus dem Observationsauftrag vom 17. Februar 2020 ergibt sich, dass die Gesuchstellerin im Besitz von . ist, wonach der Gesuchsgegner längere Strecken mit dem Auto habe zurücklegen können. So sei er beispielsweise am . von seinem Wohnort nach . und retour gefahren. Generell zeige sich, dass der Gesuchsgegner beinahe täglich mit dem Auto unterwegs sei und regelmässig […] (act. G 1.1). Bereits aus diesen Ausführungen wird die nicht näher begründete Behauptung der Gesuchstellerin, es fehle «an nachvollziehbaren Zuzugsorten» widerlegt, nachdem der Gesuchsgegner offenbar seine Fahrten - zumindest teilweise - vom Wohnort aus startete. Weder aus den Ausführungen der Gesuchstellerin noch den eingereichten Unterlagen geht hervor, dass der Gesuchsgegner nicht am Wohnort lokalisiert bzw. nicht dort angetroffen werden könnte. Des Weiteren legte die Gesuchstellerin weder schlüssig dar noch ist ersichtlich, dass es unmöglich unverhältnismässig schwer wäre, vom Gesuchsgegner nähere Informationen über seinen regelmässigen Aufenthaltsort, seinen Arbeitsort, seine Arbeitswege . einzuholen (siehe hierzu act. G 1, S. 3 oben). Jedenfalls fehlen jegliche Hinweise auf diesbezüglich erfolglose Abklärungsbemühungen seitens der Gesuchstellerin.

    3. Nach dem Gesagten ist ein Lokalisations- bzw. Wahrnehmungsnotstand im Sinn von Art. 43b ATSG, der das (letzte) Mittel eines Einsatzes von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung ausnahmsweise zu rechtfertigen vermag, nicht ausgewiesen. Hinzu kommt, dass die Gesuchstellerin im Gesuch nicht darlegte, weshalb ordentliche Abklärungsmassnahmen (wie etwa das Einholen von näheren geografischen Auskünften bezüglich Arbeitsort und Arbeitswegen bezüglich zukünftiger medizinischer Behandlungstermine) weniger eingriffsintensive Beobachtungsalternativen (wie etwa Vereinbarung von persönlichen Gesprächen der

Gesuchstellerin mit dem Gesuchsgegner am Wohnort am Sitz der Gesuchstellerin, in deren zeitlichem und geografischem Umfeld eine Observation durchgeführt werden könnte) nicht ausreichend wären. Zwar könnte die Observation mit dem Einsatz von technischen Instrumenten wie einem GPS-Peilsender in einem Fall wie dem vorliegenden (bei dem die Gesuchstellerin häufige auch längere Autofahrten des Versicherten vermutet) allenfalls kostengünstiger gehalten werden. Dieses Interesse der

Versicherung wiegt jedoch offenkundig nicht schwer genug, um den erheblichen Eingriff in die Privatsphäre des Gesuchsgegners zu rechtfertigen. Im Übrigen dürfte es den Aufwand für eine Observation unnötig erhöhen, dass die Gesuchstellerin die geografisch weit vom Wohnort des Gesuchsgegners entfernte B. mit der Überwachung beauftragte. Der diesbezügliche allfällige Mehraufwand fällt bei der Beurteilung der Notwendigkeit des Einsatzes von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung jedenfalls ausser Betracht, ist er doch nicht durch ein Verhalten des

Gesuchsgegners bedingt, sondern allein auf die Wahl der Observierenden durch die Gesuchstellerin zurückzuführen.

3.

Gemäss den vorstehenden Erwägungen ist das Gesuch um Genehmigung des Einsatzes technischer Instrumente zur Standortbestimmung vom 17. Februar 2020 (Datum Posteingang beim Versicherungsgericht: 20. Februar 2020) abzuweisen. Da es sich um ein Verfahren betreffend die Anordnung einer Abklärungsmassnahme handelt, sind keine

Gerichtskosten zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG), zumal keine Streitigkeit «betreffend

IV-Leistungen» im Sinn von Art. 69 Abs. 1bis des Bundesgesetzes über die Invalidenver­ sicherung (IVG; SR 831.20) vorliegt.

4.

Spätestens vor Erlass der Verfügung über die Leistung informiert der Versicherungsträger die betroffene Person über den Grund, die Art und die Dauer der erfolgten Observation (Art. 43a Abs. 7 ATSG). Unter die Informationspflicht gehören namentlich auch die eingesetzten Mittel. Der versicherten Person sind somit auch die Aufnahmen und Observationsberichte ohne Weiteres zugänglich, genauso wie die intern geführte Korrespondenz bezüglich der Anordnung, Auftragserteilung, Durchführung und der Ergebnisse der Observation (BSK ATSG-Gächter/Meier, N80 zu Art. 43a). Wurde der Verdacht nicht bestätigt, erlässt der Versicherungsträger gemäss Art. 43a Abs. 8 ATSG eine Verfügung über den Grund, die Art und die Dauer der erfolgten Observation (lit. a) und vernichtet nach Rechtskraft der Verfügung das Observationsmaterial, sofern die versicherte Person nicht ausdrücklich beantragt hat, dass das Observationsmaterial in den Akten verbleibt (lit. b). Das vorliegende Verfahren beschlägt die (mitteilungspflichtige) Art der Observation bzw. einen Bestandteil der Durchführungsmodalitäten, sodass die Gesuchstellerin dem Gesuchsgegner im in

Art. 43a Abs. 7 bzw. 8 ATSG vorgesehenen Zeitpunkt Kenntnis davon bzw. von diesem Entscheid zu geben hat (siehe hierzu den Entscheid des Versicherungsgerichts vom 20. Februar 2020, IV 2020/40, E. 4).

Entscheid

im Verfahren gemäss Art. 43b Abs. 2 ATSG

1.

Das Gesuch um Genehmigung des Einsatzes von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Gesuchstellerin hat dem Gesuchsgegner von diesem Entscheid im Sinn der Erwägungen zu gegebener Zeit Kenntnis zu geben.

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Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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